Kapitel 21 - Offenbarung der anderen Art

 

Meine Mutter stolziert sofort aus dem Wohnzimmer heraus, um Austin zu fragen, ob er zum Essen bleiben will. Ich sehe ihr nach und schüttle leicht mit dem Kopf. Wieso kann man sich denn nicht einfach mit einem „Danke“ bei ihm bedanken? Wieso muss es denn ein Essen sein? Kaum war meine Mutter aus dem Raum, kommt Jessica ins Wohnzimmer.

 

 

 

„Wer zum Teufel ist denn dieser Mann in der Küche?! Ich hab mich zu Tode erschreckt, Chris!“, fragt sie mich fast brüllend. Ich seufze. Dann erzähle ich ihr kurz, was passiert ist. Jessicas Augen wandern ungläubig hin und her während sie zuhört. „Dieser Typ ist also so ein Klempner oder so?“, fragt sie mich ungläubig. Ich schmunzle: „Ich glaube, die richtige Bezeichnung ist Anlagenmechaniker für Sanitärtechnik.“ Sie rollt mit den Augen. „Wen interessiert’s. Du weißt was ich sagen will. Wie kommt es denn bitte, dass dieser Kerl zufällig so ein Talent für Wasserhähne hat?“, fragt sie mich erneut und hebt dabei ihre Handinnenflächen nach oben. Ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung. Es ist einfach ein glücklicher Zufall“, meine ich und bin ehrlich gesagt selbst nicht davon überzeugt. Sie schüttelt langsam den Kopf. „Nein… Der Typ ist mir verdächtig“, murmelt sie dann. Ich freue mich, dass sie ihn auch so seltsam findet. „Als ich gerade in die Küche gekommen bin, hat er mich angestarrt, als wäre ICH fehl am Platz gewesen und nicht er!“, beteuert sie mir. „Was für ein Creep“, stellt sie fest. Ich sehe sie ernst an und gebe ihr noch die neueste Information des Tages: „Übrigens, Jessica. Meine Mutter lädt ihn gerade ein, heute mit uns zusammen zu essen.“ Jessicas Augen öffnen sich noch weiter: „Was? Wieso? Kennt deine Mutter diesen Mann etwa?“ Ich schüttle langsam den Kopf: „Wie schon gesagt, sein Auto hat zufällig vor unserem Haus den Geist aufgegeben. Mehr wissen wir nicht.“ Sie stemmt die Hände in die Hüften und flüstert mir zu: „Chris. Dieser Mann könnte sonst wer sein. Nachher entpuppt er sich als Klempner-Serienmörder oder sowas. Ich sag’s dir!“ Da muss ich lachen und Jessica haut mir verärgert mit der Hand auf die Schulter: „Ich hoffe, dich lässt er dann besonders lang leiden!“ Dann stampft sie aus dem Wohnzimmer hinaus.

 

 

 

Ich wende mich an Wren und meinen Vater, die sich inzwischen hingesetzt haben und sich im Gespräch befanden. „Papa, findest du diesen Austin denn gar nicht beunruhigend?“, frage ich ihn.

 

 

 

Mein Vater macht einen verärgerten Gesichtsausdruck: „Was ist denn bloß deine Obsession mit diesem Mann? Er hat uns freundlicherweise geholfen und das auch noch ohne eine Bezahlung zu verlangen. Ein Experte wäre sicher wieder sehr teuer geworden!“ Ich nicke leicht, weil ich meinen Vater natürlich verstehen kann. „Ich bin ja eigentlich auch ein großer Menschenfreund, aber irgendwie macht er mich unruhig.“, murmele ich kaum hörbar. Wren hebt eine Augenbraue: „Mir ist der Typ auch nicht geheuer, aber du übertreibst etwas. Er wird nur mit uns essen und nicht in unsere Familie aufgenommen.“ Mein Blick wandert von meinem Bruder zu meinem Vater und wieder zurück. Wenn die beiden so ruhig bleiben können, sollte ich das wohl auch. Ich entscheide mich, in die Küche zu gehen, um zu erfahren, was Austin gesagt hat. Wenn er denn überhaupt gesprochen hat und meiner Mutter nicht nur fünf Minuten lang in die Augen gestarrt hat. Auf dem Weg in die Küche läuft mir meine Schwester entgegen.

 

 

 

Ich merke erst jetzt, als ich sie sehe, dass sie sich den ganzen Morgen noch nicht hat blicken lassen. „Hey, wo hast du denn gesteckt?“, frage ich mit einem Lächeln im Gesicht. Ihr Lächeln verwandelt sich in Verwirrung: „Ich bin doch hier?“ Ich deute in Richtung Küche: „Schon mal reingeschaut heute?“ Sie sieht noch verwirrter aus als davor, aber ihre Neugier führt uns in die Küche, wo wir Austin und meine Mutter miteinander reden sehen.

 

 

 

Kaum erblickt sie ihn, wandern ihre Augen sofort zurück zu mir. „Wer ist das denn?“, fragt sie mich verblüfft. Ich erzähle ihr in Kurzfassung, was heute alles passiert ist und genau wie bei Jessica sieht man in Vanessas Gesicht das Erstaunen wachsen. „Wie nett von ihm, dass er den Wasserhahn repariert hat“, bemerkt sie, „nachdem die anderen Männer im Haus nichts auf die Reihe bekommen haben.“ Ich rolle mit den Augen. „Dann hätten die emanzipierten Damen das erledigen sollen.“, erwidere ich. Vanessa hört mir gar nicht mehr zu und steht inzwischen bei Austin und meiner Mutter.

 

 

 

Ich stelle mich auch dazu. Mir fällt sofort auf, dass Austins Gruselblick wieder auf mir liegt und mein Körper reagiert mit sofortiger Gänsehaut.

 

 

 

Was ist es bloß an diesem Blick, das mir das Blut in den Adern gefrieren lässt? Scheinbar bin ich ja auch der Einzige in diesem Haus, der sich so fühlt. Meine Mutter strahlt über das ganze Gesicht: „Ich freue mich so sehr, dass Sie bleiben werden, Austin.“ Ich lasse einen fast unhörbaren Seufzer raus. Ehrlich gesagt kann ich es nicht glauben, dass er die Einladung meiner Mutter auch noch akzeptiert hat. Man würde meinen er hätte anderes zu erledigen, wie beispielsweise jemanden ermorden oder sowas. Vanessa lächelt: „Ich habe erst jetzt erfahren, was Sie für uns getan haben. Das war wirklich sehr großzügig von Ihnen!“ Dann hält sie ihm ihre Hand hin: „Vanessa.“ Austin sieht ihr noch kurz in die Augen, bevor er seinen Blick auf ihre ausgestreckte Hand senkt. Nach einer weiteren kurzen Verzögerung reicht er ihr auch seine Hand. „Austin“, hört man seine Roboterstimme sagen.

 

 

 

Meine Mutter legt ihre Hand in einer besorgten Geste auf ihre Brust: „Sagen Sie, Austin, wird Ihr Auto denn wieder in Ordnung kommen?“ Austin nickt langsam. „Man sagte mir am Telefon, dass der Reparaturservice am Nachmittag oder frühen Abend da sein wird.“ Meine Mutter nickt verständnisvoll. „Sie sind unser Gast. Falls Ihr Auto doch nicht funktionieren sollte, sind Sie natürlich eingeladen, bei uns zu übernachten.“, bietet meine Mutter ihm mit einem liebevollen Lächeln im Gesicht an.

 

 

 

Als ich das höre, reiße ich die Augen auf und mir platzt etwas heraus: „M-mama, ich denke Austin wird noch andere Angelegenheiten zu erledigen haben. Halte den Mann doch nicht auf.“ Vanessa und meine Mutter sehen mich mit einem vernichtenden Funkeln in den Augen an.

 

 

 

„Chris, wo soll er denn bleiben, wenn sein Auto nicht anspringt?“, fragt meine Schwester mich mit einem empörten Unterton. Ich merke selbstverständlich sofort, dass ich sehr unhöflich bin und lenke ein: „Natürlich, da hast du recht.“

 

 Während die drei ihre Konversation wieder aufnehmen, versuche ich mich zusammenzureißen. Mir wird bewusst, dass ich maßlos übertreibe und dass ich Austin Unrecht tue. Also entschließe ich mich dazu, meine Sorgen als ungerechtfertigt zu ignorieren und versuche mein Verhalten ihm gegenüber zu bessern.

 

 

„Wenn Sie mich kurz entschuldigen würden… Wo finde ich denn die Toilette?“, höre ich Austin meine Mutter fragen. Diese nimmt ihn sofort beim Arm und führt ihn zur Toilette. Nachdem die beiden weg sind wendet sich Vanessa an mich: „Chris du merkst schon, dass du dich wie die Axt im Wald verhältst, oder? Wie alt bist du?“ Ich nicke. „Ich weiß, tut mir leid.“, entschuldige ich mich. Ich halte es für das beste, mich vorerst auf mein Zimmer zurückzuziehen. Auf dem Weg zur Treppe kommt mir meine Mutter entgegen, die Austin inzwischen gezeigt hat, wo die Toilette zu finden ist. Sie schnappt sich meinen Arm und schaut mich verärgert an: „Kind, hast du den Verstand verloren?“ Ich winke ab: „Ich weiß, ich weiß. Es tut mir leid. Ich beherrsche mich, versprochen.“ Meine Mutter lässt mich wieder los. „Das will ich hoffen. Wehe du vergraulst uns diesen tollen Mann!“, ermahnt sie mich. Ich hebe die Augenbrauen. „Toller Mann? Worauf willst du hinaus?“, frage ich sie skeptisch. Sie verschränkt die Arme. „Verstehst du denn nicht? Das wäre endlich mal eine Gelegenheit für Vanessa ihren Tölpel von Ex-Freund zu vergessen und eine Familie zu gründen. Einen besseren als Austin werde ich nie mehr finden.“, erklärt sie mir ihre Gedanken.

 

Ich reiße die Augen auf: „Du willst die beiden verkuppeln?!“