Kapitel 15 - Versuchung

Der restliche Tag verläuft ziemlich ruhig. Am Abend sitzen Jessica und Ich auf der Couch in unserer Hütte und sie erzählt mir, wie schrecklich ihr Tag verlaufen ist. „Ich schwöre es dir. Sie hatte keine Schuhe an, diese Ekelhafte. Ist dir das nicht aufgefallen?!“, sagt Jessica gerade. Ich sehe sie an. „Das finde ich jetzt eigentlich nicht so tragisch.“, entgegne ich. Sie sieht mich ein paar Sekunden schockiert an. „Ähm. Ja. Fang du bitte einfach nicht auch damit an.“, sagt Jessica. Dann rückt sie etwas näher an mich heran und legt ihren Kopf auf meiner Schulter ab. „Ich hatte gehofft, wir würden gleich am ersten Tag irgendwas Besonderes finden, aber wenn man ehrlich ist, ist das ziemlich unrealistisch. Warum sollte es gerade hier etwas Spezielles geben?“, fragt sie. Ich starre in die Luft. „Wir sollten vielleicht die Hoffnung nicht ganz aufgeben, aber zumindest unsere Erwartungen etwas senken.“, antworte ich. Sie legt ihre Hand auf mein Bein. „Hast du deinen Eltern das mit uns eigentlich erzählt?“, will sie wissen. Ich rege mich nicht. „Nein. Daran habe ich die letzten Tage nicht wirklich gedacht. Ich war allgemein schon ziemlich lange nicht mehr bei ihnen…“, murmele ich. Jessica legt ihre Arme um mich. „Wir sollten nach Oasis Springs mal zu ihnen fahren. Sie haben Melinda eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Ich weiß noch, dass sie ziemlich traurig waren, von unserer Trennung zu hören.“, erklärt Jessica.

 

Ich schweige. Meine Mutter war ziemlich sauer, als sie erfuhr, dass Jessica mich betrogen hatte. Sie ist eine Frau, für die die guten alten Werte sehr wichtig sind. Ihrer Meinung nach ist eine Ehe definitiv ein Bund für die Ewigkeit. Sie war untröstlich als sie erfuhr, dass ich nun wieder alleine sein würde. Eine Tochter, aber keine Ehefrau? Das war für sie eine Katastrophe. Mein Vater war da ganz anders. Er fand unsere Scheidung nicht so tragisch. Hass verspürte er auch keinen. Ihm war Jessica schon immer sympathisch gewesen. Er war der Meinung, dass ich mich entweder mit Jessica versöhnen würde, oder eine neue Frau kennen lernen würde. Jetzt wo ich in meinen Gedanken so bei meinen Eltern bin, fange ich an sie irgendwie zu vermissen. Ich bin wirklich lange nicht mehr bei ihnen gewesen. Das macht mir ein schlechtes Gewissen.

 

Jessica hat Recht. Nach Oasis Springs machen wir erstmal einen Wochenendausflug zu ihnen aufs Land. Ich streichle Jessica über den Kopf. „Gute Idee. Das machen wir auf jeden Fall.“, stimme ich ihr zu. Dann werde ich meinen Bruder und meine Schwester auch fragen, ob sie nicht Zeit haben. Die beiden habe ich auch schon ewig nicht mehr gesehen. Ich habe mir zwar ein ruhiges Leben gewünscht, aber Willow Creek ist fast schon zu ruhig…

 

Plötzlich richtet sich Jessica auf. „Aber das mit deinen Eltern klärst du so bald wie möglich ja?“, sagt Jessica. „Wenn deine Mutter mich da sieht ohne vorher die Neuigkeiten gehört zu haben, steckt sie mich in die Hundehütte.“, lächelt Jessica. Ich lache: „Sei nicht albern. So schlimm ist sie nicht.“

Jessica steht auf. „Ich bin müde. Bleibst du noch hier? Ich gehe ins Bett.“, sagt sie. Ich schüttele den Kopf. „Nein, ich komme gleich mit. Tagsüber ist es hier so anstrengend, ich brauche die Energie.“ Ich stehe ebenfalls auf. Jessica grinst mich an. „Also dann. Ab ins Bett, hm?“

Am nächsten Morgen schafften Jessica und Ich es Carlos zu überreden, dass wir heute zusammen arbeiten können. Also zogen wir schon los noch während die anderen bei der Einteilung für heute waren. „Gott sei Dank, Chris.“, sagt Jessica. „Noch mal hätte ich diese Wahnsinnige nicht ertragen können.“ Ich sage nichts und gehe einfach weiter zu der Stelle, an der Derek und ich zuvor waren. Als wir ankommen, drehe ich mich zu Jessica. „Hier war ich gestern schon. Es sah nach einem ganz vernünftigen Ort aus. Probieren wir es hier weiter.“, schlage ich vor. Jessica nickt. „Na schön. Ich bleibe hier und du kannst ja da drüben anfangen.“, sagt sie und deutet nach vorne. Ich nicke. „Viel Glück.“, sage ich. Dann gehe ich an die Stelle, die Jessica meinte und sehe mich um.

Hier gibt es viel Gestein, aber nichts, dass mein Interesse weckt. Ich knie mich an verschiedenen Stellen hin und stehe wieder auf. Nichts Außergewöhnliches zu sehen. Langsam gehe ich immer weiter weg, ohne es wirklich zu merken. Nach einiger Zeit sehe ich etwas Metallenes am Boden liegen. Ich bücke mich und nehme es in die Hand. „Hm… Was könnte das sein…“, grübele ich. Als ich meinen Kopf kurz anhebe, erblicke ich etwas Merkwürdiges.

Ich runzele die Stirn. Davon wusste ich ja gar nichts. Ein stillgelegtes Bergwerk? Ich stehe auf und nähere mich dem versiegelten Eingang. Das sollte ich vielleicht Carlos erzählen. Wie alt diese Mine wohl ist? Es sieht nämlich so aus, als wäre schon sehr lange niemand mehr hier gewesen… Wie seltsam. Ich berühre die Planken, die quer über dem Eingang befestigt wurden. Sie verhindern ein Weiterkommen. Ich seufze und trete einige Schritte zurück. Ich sollte ins Camp gehen und das Carlos wissen lassen.

„W-Wow!“, höre ich eine Stimme hinter mir. Ich wirbele herum und sehe Jessica an. „Was ist das? Eine Mine? Wie hast du die denn gefunden?“, fragt Jessica. Ich will anfangen zu erklären, doch Jessica scheint keine Antwort zu erwarten und läuft einfach auf den Eingang zu. Dort angekommen berührt sie jede Planke einzeln und macht ein erstauntes Gesicht. „Wer weiß, was für Schätze da drinnen warten…“, jubelt Jessica. Ihre Augen glänzen förmlich. Ich runzele die Stirn. „Jessica, wir sind keine Schatzjäger sondern Archäologen. Komm gehen wir jetzt. Lassen wir es Carlos wissen.“, sage ich und beginne bereits loszugehen. Jessica dreht sich zu mir um.

 

 

„Es Carlos wissen lassen?“, fragt sie. „Chris… Das ist unsere Chance!“